Am Anfang meiner Arbeit machte ich mich auf die Suche nach Mustern, nach dem kleinsten Nenner des Spieles, nach dem Genom des Basketballs.
Es gibt fast so viele Basketball-Philosophien wie Coaches und Teams. Sie variieren von Land zu Land, von Kontinent zu Kontinent und es sind gar regionale Unterschiede auszumachen. Diese sind abhängig von der Geschichte und der örtlichen Basketballtradition. Doch es ist nicht nur ausschlaggebend, wie stark die Sportart an einem Ort verwurzelt ist, sondern auch, was für Spieler den Teams zur Verfügung standen.
Einige Beispiele illustrieren das Ausmass dieser Unterschiede:
Basketball wurde 1891 vom Kanadier James Naismith an der YMCA Training School in Springfield (USA) erfunden. Er empfand die bestehenden Sportarten als zu eindimensional und suchte nach einem Teamsport für die Halle mit wenig Verletzungsrisiko.
Am Anfang wurde Basketball vorwiegend an Colleges gespielt mit sehr vielen weissen Studenten. Zunehmend wurde es aber auch an schwarzen Colleges beliebt, die einen ganz anderen Spielstil entwickelten: Während die weissen Colleges in Anlehnung an den Fussball noch Angreifer und Verteidiger einsetzten, wurde diese Unterscheidung an den schwarzen Colleges sehr schnell abgeschafft und alle Spieler wurden in den Angriff wie auch in die Verteidigung involviert. Viele Trainer der damaligen Zeit waren der Meinung, dass schwarze Spieler zu dumm seien, um die Komplexität dieses Sports zu verstehen. Die schwarzen Spieler wiederum waren der Meinung, dass die Weissen zu schwach seien, um auf dem Feld zu bestehen.
Erst nach vielen Kontroversen wurden auch schwarze Spieler in den Profi-Ligen zugelassen und der Sport wurde dadurch grundsätzlich athletischer. Und erst die richtige strategische und athletische Mischung sicherte der USA eine Dominanz über Jahrzehnte.
Zur gleichen Zeit wurde Basketball im ehemaligen Ostblock immer beliebter und dort wurden Strategien entwickelt, die heute weltweit Gültigkeit haben. Die Trainer im Ostblock hatten einfach nicht die Athleten wie in den USA und entwickelten Basketball daher zu einem Strategiespiel. Manche behaupten auch, dass dies nur der Fall gewesen sei, weil die Russen eine Vorliebe für Schach haben.
So entstanden zwei Ausprägungen in der Basketballwelt: die amerikanische und die europäische Spielweise. Es dauerte lange, bis sich Amerika für die europäische Spielweise zu interessieren begann. Die USA mussten erst an diversen Olympischen Spielen und WMs verlieren, bis sie merkten, dass ein verstärkter strategischer Einfluss die erfolgversprechendere Lösung ist. So wird der Sport heute einheitlicher gespielt, ohne jedoch die regionalen Eigenheiten zu verlieren und das moderne Spiel basiert auf Prinzipen, die weltweit Gültigkeit haben.
Und trotz dieser Angleichungen gibt es weiterhin Mannschaften, die auf dem Spielfeld deutlich dominieren, besser spielen und mehr Punkte erzielen. Was ist ausschlaggebend für ein erfolgreiches Spiel und einen überragenden Teamspirit? Lassen sich in einer Mannschaftsanalyse Marker finden, die Rückschlüsse auf den Spielerfolg zulassen?
Und gibt es denn das Mannschafts-Genom?
Individuelle und kollektive Fähigkeiten und Abläufe
Natürlich müssen die Spieler gewisse Fähigkeiten wie Werfen, Ball fangen usw. beherrschen. Doch sind dies nur teilweise die Attribute, die ein Team schlussendlich zum Erfolg führen. Zusätzlich müssen die Spieler ein hohes Verständnis für die Abläufe auf dem Spielfeld besitzen, ein ausgezeichnetes Raum-/Zeit-Gespür entwickelt haben und fähig sein, dies im Spiel umzusetzen. Es ist ausserdem wichtig, dass die Spieler so früh wie möglich in die Prinzipien des Spacings und der Rotation eingeführt werden. Ohne die Kenntnisse und das Beherrschen dieser grundlegenden Prinzipien ist ein Team nicht in der Lage, auf höherem Niveau zu spielen.
Ein Spielsystem ist nur ein Grundmuster, das ein Team wiederholt und bis zur Perfektion einstudiert. Im Wettkampf gilt es, dieses so lange zu wiederholen, bis das Ausbrechen und der Wechsel in ein „chaotisch-organisiertes“ Spiel möglich sind. Damit dies regelmässig funktioniert und zum Korberfolg führt, muss sich ein Team die Grundregeln der Basketball-Geometrie einverleibt haben. Die korrespondierenden Bewegungsabläufe, Aktionen und Reaktionen sind übergegangen in das Individuum und das Kollektiv und damit, eingefleischt und verinnerlicht, spielgenetisch vorhanden.
In Systemen wie auch im freien Spiel sind das Zurückgreifen auf Standardkomponenten und deren Wiederholung ein grundsätzlicher Erfolgsfaktor. Die Pick-and-Roll-Situation ist eine der effektivsten Standardspielzüge, die in 20% der Fälle zu einem erfolgreichen Korbabschluss führt.
Die Kombinationen von Spacing, Timing, Rotation sowie spezifischen Wiederholungen von Systemen und Standardkomponenten verleihen jedem Team eine individuelle Note. Ich bezeichne diese als mannschaftsspezifischen Fingerabdruck.
Das Team-Karyogramm versucht, den Spielmustern einer Mannschaft auf die Schliche zu kommen. Durch einen auf die Spieler übertragenen Farbcode und die chronologische Darstellung der Ballkontakte lassen sich Wiederholungen der Systeme im Spielverlauf besser identifizieren. Die Muster eines Teams werden sichtbar: Je nach Spielerkombination auf dem Feld wiederholen sich die Farbmuster beziehungsweise mannschaftsinternen Abläufe, was die Eigenheiten eines Teams aufzeigt.
Eine klare Spielsystem-Vorgabe erhöht den Erfolgsfaktor um ein Vielfaches, weil die Bewegungen und der Zeitablauf vorgegeben sind und die Konzentration der Spieler geschont wird. Die Identifizierung dieser Erfolgsfaktoren wiederum ist der erste Schritt zur Entwicklung eines Spielsystems, das zum Team passt, in dem es sich wohlfühlt und mit dem es seinen Erfolg zusätzlich systematisieren kann. Ein ideales System ist sozusagen ein Nährboden, auf dem sich ein Team entwickelt und gedeiht.
Diese Prinzipien müssen jedem Spieler vermittelt werden und bei der Evaluation neuer Spieler ist besonders darauf zu achten, ob sie ins teamadaptierte Spielsystem passen. Das Team muss als symbiotischer Organismus angesehen werden, in dem jeder Spieler einen Teil der Team-DNS ausmacht und mit seiner Einzigartigkeit einen wichtigen Teil zum Gesamten beiträgt. Kommen neue Spieler in ein bestehendes Team, mutiert auch ein Teil der DNS – dies bereichert den Organismus im Idealfall, kann ihn aber auch krank machen und mit der Zeit zerstören.
Diese Mutationen gehören jedoch zum Lauf der Dinge und sind auch wichtig für die Entwicklung des Organismus – auch so kann ein Team wachsen und besser für den Wettkampf gerüstet sein.
Evolution durch Mutation
Die Evolutionsfaktoren aus der Biologie lassen sich aber nicht nur auf die Teamzusammensetzung, sondern auch auf seine Taktik anwenden: Durch „Mutation“ der Spieler und des Spielverhaltens lassen sich mannschaftsspezifische Stärken und Schwächen erkennen – das Feedback beziehungsweise die Auswertung erhält man unmittelbar durch einen Sieg oder eine Niederlage im Spiel. Herauszufinden, woran der Organismus genau krankt, ist dann eine aufwändigere Sache.
Aus der „Rekombination“ der Feldspieler resultiert ein anderes Verhalten des spielenden Teams. Es werden andere Muster sichtbar, die den Erfolg bringen könnten, so beispielsweise entwickelt sich ein besseres Zusammenspielen der einzelnen Spieler oder die Mannschaft ist dominanter in der Zone, weil die Spieler einfach grösser sind.
Interessanterweise lässt sich auf dem Spielfeld auch eine „natürliche Selektion“ nachweisen: Spieler, die nicht in den Organismus passen beziehungsweise sich der Teamsituation nicht anpassen können, stören den spielerischen Fortschritt und verschwinden früher oder später automatisch vom Spielfeld. Sie werden von den anderen Spielern ausgelassen und erhalten keine Pässe mehr. Erst in einem nächsten Schritt verschwinden sie durch eine Auswechslung vom Spielfeld. Wenn das nicht passiert, erfolgt die natürliche Sektion auf der nächsten Stufe und das Team verschwindet früher oder später aus der Liga.